Methodik
Evidenzbasierte Medizin (EbM) ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patientinnen und Patienten. Die Praxis der EbM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestverfügbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung.
David Sackett
Ausgehend von einer klinischen Fragestellung gilt es hierzu nach Literatur zu suchen, diese zu bewerten, auf Basis der Evidenz, der klinischen Expertise und den Wünschen der Patientinnen und Patienten eine Entscheidung über die am besten geeignete Behandlung zu treffen, diese anzuwenden und nach der Anwendung zu evaluieren, inwieweit die Behandlung erfolgreich war.
Die Methoden der EbM beziehen sich überwiegend auf die Identifikation und kritische Bewertung der relevanten Literatur, daher wird dies häufig verkürzt als EbM verstanden. Allerdings ist das Ziel der Anwendung dieser Methodik die Beantwortung einer (klinischen) Fragestellung.
Auf dieser Seite wird das methodische Grundkonzept der EbM kurz erläutert.
Im ersten Schritt wird zunächst eine konkrete klinische Frage gestellt. Ein Beispiel für eine klinische Frage wäre: „Kann bei Patientinnen und Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen die Einnahme des Arzneimittels Paracetamol im Vergleich zu keiner medikamentösen Schmerzbehandlung eine schnellere Rückkehr zur normalen körperlichen Aktivität herbeiführen?“ Diese Frage ist nach dem PICO-Format aufgebaut. Das PICO-Format dient dazu, klinische Fragen so zu stellen, dass sie möglichst mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Hierbei stehen die Buchstaben P für Patient/Patientin, I für Intervention, C für Comparison (Kontrollintervention) und O für Outcome (Zielkriterium).
Umsetzung im Beispiel |
|
P (Patient) |
Patientinnen/Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen |
I (Intervention) |
Arzneimittel Paracetamol |
C (Comparison) |
keine medikamentöse Schmerzbehandlung |
O |
Rückkehr zur normalen körperlichen Aktivität |
Die klare Festlegung auf eine vergleichend gestellte Frage vereinfacht Suche und Auswahl der Evidenz. Ja nach Fragestellung kann es auch nützlich sein, das PICOTS-Format zu benutzen, in dem zusätzlich der Zeitpunkt (T für Timing) und der Studientyp oder das Setting (S für Study type oder Setting) festgelegt werden
Im zweiten Schritt erfolgt die Informationsbeschaffung. Über eine gezielte Informationsrecherche soll im Rahmen der EbM im klinischen Alltag möglichst schnell möglichst hochwertige Evidenz gefunden werden. Während man in Forschung und evidenzbasierter Gesundheitsversorgung oft sehr umfangreiche und systematische Recherchen betreibt, reichen im klinischen Alltag sehr oft orientierende Recherchen. Dabei wird eher nach Sekundärquellen mit Zusammenfassungen des aktuellen Wissenstandes gesucht (z. B. systematische Übersichten) oder nach Dokumenten mit Empfehlungen für die Versorgung (z.B. Leitlinien) als nach Primärquellen (Studien in Fachzeitschriften). Eine Übersicht zu allen wichtigen Quellen der Informationsrecherche finden Sie hier.
Im dritten Schritt erfolgt eine kritische Literaturbewertung (critical appraisal), um die Qualität der gefundenen Quellen zu prüfen. Aus der internen Validität der Evidenz, der quantitativen Ergebnissicherheit und der Übertragbarkeit der Evidenz auf die Situation der Patientin oder des Patienten ergibt sich die Gesamtqualität der Evidenz. Je nachdem, ob man eine Primärstudie, eine klinische Leitlinie oder etwas Anderes bewertet, unterscheidet sich die Literaturbewertung. Methodisches Wissen ist hierfür wichtig. Das EbM-Netzwerk stellt verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung, die beim Bewerten von Literatur weiterhelfen können.
Der vierte Schritt, die klinische Anwendung der gefundenen Evidenz verlangt den Einbezug weiterer Faktoren. Selbst wenn die Evidenz deutlich für oder gegen eine Behandlung spricht, müssen auch die Präferenzen der Patientin oder des Patienten und lokale medizinische Kontextfaktoren berücksichtigt werden, um informierte Entscheidungen zu ermöglichen. Evidenz ist unverzichtbar, um in der Medizin und den Gesundheitsfachberufen gute Entscheidungen zu treffen, aber die Evidenz allein reicht nicht aus. Die Grundlagen evidenzbasierter Entscheidungsfindung werden in EbM-Kursen verschiedener Anbieter vermittelt. Eine Übersicht über aktuelle Kurse findet sich zum Beispiel im EbM-Veranstaltungskalender.
Ideal sind im fünften Schritt eine Evaluation und Reflektion des eigenen Vorgehens, um den Erfolg der Behandlung zu evaluieren bzw. den Behandlungsprozess zu reflektieren.