Prävention und frühe Therapie von Demenz - Wenn Wunschdenken den Blick auf Studiendaten trübt
Bis zu 40 Prozent aller Alzheimerfälle lassen sich verhindern – das muss stärker in die Köpfe“, so die Süddeutsche Zeitung im Herbst 2024 (1). Andere Medien und die medizinische Fachpresse berichten ähnliche Schlagzeilen. Anlass solch zuversichtlicher Meldungen ist die Aktualisierung der Lancet Standing Commission zur Demenzprävention (8). Mit "hoher LDL Cholesterinspiegel" und "unbehandelter Sehverlust" erweitert diese Expertengruppe die Liste der Risikofaktoren für Demenz auf nun insgesamt 14 und leitet daraus folgende Empfehlungen ab:
- Zugang zu guter Bildung für alle und anregende Aktivitäten in der Lebensmitte fördern, um kognitive Fähigkeiten zu schützen
- Hörgeräte für Menschen mit Hörverlust zugänglich machen und schädliche Lärmbelastung verringern, um Hörverlust zu reduzieren
- Effektive Behandlung von Depression
- Verwendung von Helmen und Kopfschutz bei Kontaktsportarten und auf Fahrrädern fördern
- Körperliche Bewegung fördern
- Zigarettenrauchen durch Aufklärung, Preiskontrolle und Rauchverbot an öffentlichen Orten reduzieren und Ratschläge zur Raucherentwöhnung zugänglich machen
- Bluthochdruck verhindern oder reduzieren, ab 40 Jahre einen systolischen Blutdruck von 130 mmHg oder weniger aufrecht halten
- Erhöhtes LDL-Cholesterin ab der Lebensmitte erkennen und behandeln
- Gesundes Gewicht halten und Fettleibigkeit so früh wie möglich behandeln, auch um Diabetes vorzubeugen
- Hohen Alkoholkonsum durch Preiskontrolle und gesteigertes Bewusstsein für die Menge und die Risiken des übermäßigen Konsums reduzieren
- Altersgerechte und unterstützende Gemeinschaftsumgebungen und Wohnformen priorisieren und soziale Isolation verringern durch Teilnahme an Aktivitäten und Zusammenleben mit anderen
- Zugang zu Screening und Behandlung von Sehverlust für alle
- Belastung durch Luftverschmutzung reduzieren
Demenz – eine Lebensstil-Entscheidung?
Experimentelle Studien, die die Kausalität der Risikofaktoren und deshalb die Effektivität der Demenzvorbeugung belegen könnten, sind oftmals nicht praktikabel. Alternative Studiendesigns sind z. B. genetische Assoziationsstudien mit Mendel-Randomisierung (10). In solchen Studien konnte bisher kein kausaler Zusammenhang zwischen den von der Lancet-Expertengruppe vorgeschlagenen Risikofaktoren und Demenz bestätigt werden (2).
Die Diagnose Demenz steht typischerweise am Ende eines jahrzehntelangen Entwicklungsprozesses. Nicht das fehlende Hörgerät könnte die Entwicklung einer Demenz befördern, sondern eine frühe Beeinträchtigung der Informationsverarbeitung, die dazu führt, dass Menschen, die eine Demenz entwickeln, kein Hörgerät nutzen können oder möchten. Als Risikofaktoren erklärte Faktoren sind möglicherweise mit den tatsächlichen Ursachen der Demenz lediglich korreliert, sind aber selbst nicht der Grund für die Demenz. Zum Beispiel mag Schulbildung ein Marker für andere Ursachen der Demenz sein, der jedoch auf andere Lebensbedingungen zurückzuführen ist wie Armut oder mangelnde kognitive Reserve. Die Verlängerung der Schulzeit würde dann nicht das Risiko für Demenz verringern...