Evidenzbasierte Kommunikation zu Impfungen: Stellungnahme anlässlich der Berufung neuer STIKO-Mitglieder
Das EbM-Netzwerk gratuliert den neuen und bisherigen Mitgliedern zu ihrer Berufung in die STIKO und wünscht viel Erfolg für dieses verantwortungsvolle Ehrenamt.
Das EbM-Netzwerk begrüßt das ausdrückliche Bekenntnis des Bundesgesundheitsministers Prof. Karl Lauterbach zur Unabhängigkeit der STIKO von politischer Einflussnahme.
Während der Corona-Pandemie haben Politiker und Medien in unterschiedlicher Weise Druck auf die STIKO ausgeübt. Beispielsweise positionierten sich einzelne Politiker mit Aussagen zu Covid-19-Impfungen, die nicht im Einklang mit den Impfempfehlungen der STIKO standen. So ließen sich prominente Politiker öffentlich impfen, obwohl die STIKO eine Impfung für die entsprechende Personengruppe gerade nicht vorsah. Oder es wurde eine Covid-19-Impfung für Kinder gefordert, obwohl die STIKO wegen ungeklärter Nutzen-Schaden Abwägungen eine entsprechende Impfempfehlung nicht aussprechen konnte. Aus Sicht des EbM-Netzwerks könnte die STIKO ihre Glaubwürdigkeit verbessern, indem sie deutlicher zwischen der Evidenzlage und den daraus abgeleiteten Empfehlungen differenziert und dies transparent und verständlich kommuniziert. Politiker könnten damit abweichende politische Entscheidungen erläutern, ohne den Eindruck zu vermitteln, die wissenschaftliche Datenlage in Frage zu stellen.
Mit Prof. Jörg Meerpohl, Leiter von Cochrane Deutschland, bleibt ein Experte für die Methoden der Evidenzbasierten Medizin weiterhin Mitglied der STIKO. Cochrane Deutschland hat wesentlich zur Evidenzbasierung des methodischen Verfahrens der STIKO beigetragen. Als EbM Netzwerk möchten wir jedoch anregen, das Methodenpapier der STIKO mit einem Standard zur transparenten und verständlichen Kommunikation der Ergebnisse an die Bevölkerung zu ergänzen. Das EbM Netzwerk begrüßt daher, dass mit Prof. Constanze Rossmann nun auch eine Expertin zu ‚Kommunikationswissenschaft und Medienforschung‘ in der STIKO vertreten ist.
Die Bevölkerung hat Anspruch auf unabhängige, wissenschaftsbasierte, barrierefreie und verständliche Informationen. Die Kommunikation zu Gesundheitsthemen ist ein Kernelement der evidenzbasierten Medizin und von Public Health. Zielsetzung ist es, realistische Einschätzungen und informierte Entscheidungen zu ermöglichen. Dies gilt sowohl für individuelle als auch für Public Health Entscheidungen. Das Patientenrechtegesetz aus dem Jahr 2013 regelt das Recht der Bevölkerung auf umfassende Aufklärung zu medizinischen Maßnahmen. Es gilt auch für Impfungen und in Krisenzeiten.
Das EbM-Netzwerk hat die ‚Gute Praxis Gesundheitsinformation (GPGI)‘ und eine Leitlinie Gesundheitsinformation herausgegeben. Sie dienen der Erstellung und Bewertung von Gesundheitsinformationen nach Kriterien der Evidenzbasierten Medizin. Medizinisch wissenschaftliche Institutionen wie das IQWiG (www.gesundheitsinformation.de) nutzen diese oder ähnliche Standards für eine verständliche, unabhängige, wissenschaftsbasierte Kommunikation zu Gesundheitsthemen.
Bisher stellt weder die STIKO noch die BZgA zu den einzelnen Impfungen Materialien zur Verfügung, die standardmäßig die Kriterien für eine evidenzbasierte Patienteninformation berücksichtigen. Schon vor der Corona-Pandemie hat das EbM-Netzwerk eine nutzergerechte evidenzbasierte Kommunikation zu Impfempfehlungen angemahnt. Während der Pandemie fehlten evidenzbasierte Entscheidungshilfen zum möglichen Nutzen und Schaden der Covid-19-Impfungen. Faktenboxen mit absoluten Häufigkeitsangaben wären vor allem zur altersspezifischen Reduktion der Krankheitsschwere im Verhältnis zu möglichen Nebenwirkungen einer Impfung notwendig gewesen. Die Veröffentlichungen der STIKO waren ausführlich und komplex, aber für medizinisch nicht gebildete Laien kaum verständlich, was die Tür öffnete für gezielte Desinformation.
Das IQWiG hatte schließlich auf Eigeninitiative eine entsprechende Entscheidungshilfe zur Covid-19-Impfung veröffentlicht. Sie stellte für die unterschiedlichen Altersgruppen den möglichen Nutzen und Schaden in absoluten Häufigkeiten in Tabellen verständlich gegenüber. (Die Information ist nicht mehr auf www.gesundheitsinformation.de verfügbar, da die Daten zur Wirksamkeit der Impfungen nicht mehr aktuell sind.)
Ein positives Beispiel für eine ausgewogene, evidenzbasierte Kommunikation zu Covid-19 Impfungen findet sich jedoch weiterhin auf der Website des britischen Gesundheitsministeriums. Eine übersichtliche Tabelle zeigt Daten zu verschiedenen Szenarien des Infektionsgeschehens. Faktenboxen differenzieren die Impfziele ‚Vermeidung von stationärer Behandlung‘, PIMS und ‚Behandlung auf Intensivstation‘. Für jedes Impfziel wird die Anzahl verhinderter Fälle pro 1 Million Impfungen und zusätzlich die number needed to vaccinate für einen verhinderten Fall präsentiert. Auch die möglichen Auswirkungen auf den Schulbesuch der Kinder mit und ohne Impfung werden verständlich erklärt. Ebenso die Häufigkeit möglicher Nebenwirkungen.
Das IQWiG zeigt auf seiner Website www.gesundheitsinformation.de zur HPV-Impfung ein gutes Beispiel einer evidenzbasierten Gesundheitsinformation. Zu anderen Impfungen sind die Angebote von www.gesundheitsinformation.de bisher jedoch begrenzt. Das EbM-Netzwerk erhofft sich mit der Neubesetzung der STIKO nun für alle Impfungen evidenzbasierte Informationsmaterialen, die sich als Grundlage für informierte Entscheidungen eignen. Egal welche Institution die Erstellung solcher Entscheidungshilfen übernimmt, Unabhängigkeit, methodische Expertise und eine ausreichende personelle Ausstattung müssten gewährleistet sein.
Die STIKO bewertet Impfungen umfassend im Sinne einer Kosten-Nutzen-Schaden-Analyse. Um den Erwartungen und Forderungen der Öffentlichkeit nach Transparenz zu entsprechen, sollten in die Berichterstattung an die Bevölkerung auch die Kosten für die Versichertengemeinschaft bzw. aus gesellschaftlicher Perspektive integriert werden. Eine vollständige und verständliche Kommunikation kann eine realistische Bewertung der Kosten und vergleichende Einordnung mit anderen Ausgaben zum Erhalt und der Verbesserung der Gesundheit ermöglichen.
Schließlich wollen wir an dieser Stelle neuerlich auf die skeptische Perspektive des EbM-Netzwerks auf bevölkerungsweite Kampagnen verweisen, solange evidenzbasierte Informationen nicht angeboten werden, um informiertes Entscheiden zu unterstützen.
Empfehlungen der STIKO müssen offen bleiben für einen fairen wissenschaftsbasierten Diskurs ebenso wie für eine Auseinandersetzung mit Kritik aus der Zivilgesellschaft. Die Glaubwürdigkeit von Impfempfehlungen kann jedoch unterstützt werden, indem Politik und Medien die Empfehlungen der STIKO respektvoll kommentieren und selbst die Standards einer evidenzbasierten Risikokommunikation befolgen.